Sobald die letzten Verhandlungen abgeschlossen sind und eine Einigung von beiden Seiten akzeptiert worden ist, bereitet die jala ihre Entscheidung und die Verkündigung vor. Einladungen werden an alle angesehenen Würdenträger im ganzen Land versendet. Generell soll das Ritual der SULHA zwischen 10 und 12 Uhr am Vormittag auf einem offen Platz abgehalten werden. Frieden sollte offen geschlossen werden. Er sollte geschlossen werden von der Spitze des Kopfes, wie es heisst. Jeder soll es sehen können, die Bedeutung wissen und jeder soll Zeuge sein.
Der Tag des SULHA
Und nun kommen wir zum wunderschönen Ritual des SULHA selbst. Die Familie des Ermordeten steht in einer Reihe. Die Familie des Mörders wird von einer Delegation abgeholt und mit weißer Fahne (rayah) als Symbol des Friedens und der Sicherheit zum Ort der SULHA gebracht. Dies geschieht erst, nachdem ein einflußreiches Mitglied der Familie des Opfers einen festen Knoten in das weiße Tuch gemacht hat als Versprechen, der friedenssuchenden Familie des Angreifers Schutz zu gewähren.
Der Angreifer oder sein Stellvertreter, wenn er selbst zum Beispiel im Gefängnis sein sollte, muss die weiße Fahne in seiner Hand hoch halten. Es ist ein sauberes Tuch mit reinem Weiß zu verwenden und es symbolisiert, dass die Probleme vollständig gelöst worden sind. Die Mitglieder der Delegation nehmen den Angreifer zum Schutz in ihre Mitte. Es folgt nun der schwierigste Moment des Rituals, wenn er die Reihe der Opferfamilie langsam abzugehen hat und jedem von ihnen nacheinander die Hand reicht. Berühren sich die Hände, ist der emotionale Höhepunkt erreicht und die Spannung löst sich nach und nach. In speziellen und besonders schwierigen Fällen kann diese Prozedur von bis zu zweitausend Menschen verfolgt werden und jeder der Beteiligten ist bis zum äußersten gespannt und verfolgt still und erwartungsvoll das weitere Vorgehen.
Es passiert ab und an, dass jemand sagt:“Ich möchte seine Hand nicht schütteln. Er hat meinen Vater ermordet…“ und die gesamte Atmosphäre ist augenblicklich wie elektrisiert. Es könnte nun ein weiterer Mord aus Rache geschehen. Gerade deshalb löst sich die Anspannung erst dann, wenn der Mörder auch die letzte Hand der anderen Familie geschüttelt hat. Und es gibt einen besonderen Satz, der diesen Teil der Zeremonie abschließt:“Dieser Friede ist gültig für all jene, die anwesend sind und für all jene, die nicht hier sein können. Für jeden Embryo im Schoße seiner Mutter und jedes Sperma im Becken eines Vaters…“. Und auf diese Weise sind auch die kommenden Generationen mit eingeschlossen in das Versprechen und den Frieden.
Somit ist diese Einigung am Ende des SULHA endgültig, klar und umfassend und die formalen Reden können beginnen. Aus der Erfahrung heraus lässt sich sagen, dass je weniger Reden es gibt, desto besser für den Prozess. Denn je mehr Menschen sprechen, desto größer wird die Gefahr, dass jemand der Sensitivität des Momentes nicht gerecht wird und das gesamte Ritual zu scheitern droht. Ein falsches Wort könnte alles verderben, auch wenn es nicht so gemeint war. Jemand mag in gutgemeinter Absicht aber naiver Unwissenheit gesprochen haben und damit die Feierlichkeit gefährden. Wer weiß schon, wie die andere Seite die Worte interpretiert und dann reagiert?
Worte von sorgfältig ausgewählten Sprechern beider Seiten werden für alle klar und deutlich geäußert, bis ein Prominenter des Dorfes oder der Bürgermeister das Wort erhebt und sagt: „Danke! Beide Familien waren sehr freundlich und großzügig, diese Einigung zu akzeptieren und nun eröffnen wir ein neues Kapitel in diesem Dorf und wir wünschen allen viel Glück und ein glücklicheres Leben.“
Meist gibt es viele Anfragen von Menschen, die gerne zu diesem Anlass reden möchten, aber es ist besser, die meisten davon abzulehnen. Manche Menschen lieben es zwar zu sprechen, tragen zur Verständigung aber nichts weiter bei.
Nach dem alle Hände geschüttelt worden sind, wird der Bürgermeister oder Dorfvorsteher gebeten einen weiteren Knoten in die weiße Fahne zu machen. Wie das ganze Ritual ist auch dies ein Symbol und eine Garantie des Friedens. Er sagt: „Hier, im Namen Gottes, mache ich diesen Knoten, auf dass dieser Frieden nie wieder gelöst werden wird. Ich habe das Tuch fest verknotet, so dass diese Einigung besiegelt und von nun an gültig sein wird.“
Die Familie des Schuldigen wird nun zur Familie des Angegriffenen gebracht, wo sie einen bitteren Kaffee gereicht bekommt. Dann lädt die Familie des Mörders die Familie des Opfers ein, mit ihnen eine Mahlzeit einzunehmen. Kaffee in die eine Richtung, ein Essen in die andere Richtung. Dieses gemeinsame Mahlzeit am Ende betont auf besondere Weise die Kraft der Vereinbarung und ist ein Zeichen der Versöhnung und der Beseitigung der Barrieren zwischen allen Beteiligten.
aus: Elias Jabbour „SULHA Palestinian Traditional Peacemaking Process“ (aus dem Englischen von mir „bestmöglich“ übersetzt)